DEPRESSION, ÄNGSTE, SORGEN - AUF WELCHE FRüHSYMPTOME ELTERN BEI KINDERN ACHTEN SOLLTEN - UND WAS DANN ZU TUN IST

Eltern müssen nicht immer gleich für alles eine Lösung parat haben, sagt Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort. Im Gegenteil: Es ist gar nicht immer hilfreich, allwissende Eltern zu haben. Etwas ganz anderes ist viel entscheidender, um Kindern bei Ängsten und Sorgen zu helfen. 

Wie können Eltern sicherstellen, dass ihre Kinder verstehen, dass ihre Sorgen und Ängste ernst genommen werden?

Das Zauberwort für die Frage, wie Kinder verstehen, ob sie ernst genommen werden lautet: Authentizität.

Jeder von uns kennt genügend Situationen, in denen man selbst oder andere Menschen Dinge sagen, die sie nicht so meinen, im schlimmsten Fall sich verstellen. Wenn jemand über seine Gefühle oder über das Ernstnehmen seines Kindes spricht, dann kommt es beim Kind nur dann an, wenn es echt ist, unverstellt, ernsthaft und authentisch. Deshalb ist ein wichtiger Bestandteil unserer Elternarbeit die Konzentration auf die elterliche Haltung.

Haltung bezeichnet das, was ich als Mutter oder Vater in der Tiefe meiner Seele und tatsächlich spüre gegenüber meinem Kind. Wenn ich mein Kind eigentlich als schrecklich empfinde, ist es überhaupt nicht hilfreich, zu betonen, wie toll ich mein Kind finde - es wird sowieso nicht ankommen. Wenn ich also ein inneres Problem mit einer Dissonanz meiner Wahrnehmung habe, hilft es nicht: ich muss an meiner Wahrnehmung so lange Arbeiten, bis der Satz „Du bist ein liebenswertes Kind“ mir authentisch über die Lippen kommt.

Manchmal muss man Kinder in der eigenen Wahrnehmung und für sich zurechtlieben. An jedem Menschen, an jedem Kind gibt es Liebenswertes. Das ist der Grundstock für meine innere Arbeit, wahrhaftig dahin zu kommen, dass ich versichern kann: „Ich nehme Deine Sorgen und Ängste ernst!“

Welche Strategien können Eltern anwenden, um ihren Kindern bei Sorgen und Ängsten zu helfen?

Strategien können dazu verführen, nicht authentisch zu sein, sondern etwas Angelesenes und Zurechtgelegtes technisch anzuwenden. Wenn es darum geht, hilfreich für die Sorgen der eigenen Kinder zu sein, so wird dies nur gelingen, wenn Eltern sich Zeit nehmen, nachfragen, um die Gedanken und Gefühle des Kindes ernsthaft in sich aufzunehmen.

Das bedeutet, dass man nicht immer eine Antwort hat, dass man nicht immer sofort weiter weiß. Es ist ein falscher und überhöhter Anspruch von Eltern zu denken, man müsste immer weiter wissen, weil man schließlich der Erwachsene ist.

Kinder vertragen es viel besser, wenn Eltern nicht weiter wissen, als die meisten Eltern denken. Allwissende Eltern sind unrealistisch und nicht hilfreich. Wenn Kinder erleben, dass Eltern auch nicht sofort eine Antwort wissen, aber ihren Kindern zeigen, wie man sich - emotional und rational - auf den Weg macht, sich einer Antwort zu nähern, dann genügt das. Die emotionale unmittelbare eingefühlte Resonanz ist das Entscheidende.

Kinder möchten sich verstanden wissen ("Habe ich dich richtig verstanden, dass...?") und aufgehoben. Aufgehoben ist man dann, wenn man einen Trost erfährt, Verständnis (im Sinne eines tiefen Verstehens) erlebt und die Zuversicht erhält, dass man gemeinsam eine Lösung finden wird - es sei denn, es geht um Dinge, mit denen man sich abfinden muss - auch das können Kinder lernen.

Ab wann ist professionelle Hilfe nötig und wie können Eltern diese für ihre Kinder in Anspruch nehmen?

Professionelle Hilfe ist immer dann notwendig, wenn Eltern und Familien nicht mehr weiter wissen. Die Angst von Eltern, zu früh oder übertrieben professionelle Hilfe aufzusuchen, kann man schnell entkräften: Wir professionellen Kinder- und Jugendpsychiater*innen und Psychotherapeut*innen freuen uns über jedes Kind, das vorgestellt wird. Sollte es wirklich einmal nicht nötig sein, so stellen wir das gerne fest und schicken alle beruhigt wieder nach Hause. Davor gilt das „Bauchgefühl“ und die elterliche Expertise.

 

Wenn Eltern das Gefühl haben, mit ihrem Kind „stimmt etwas nicht“, dann ist das immer Grund genug, dem nachzugehen. Eltern sollten sich nicht scheuen, bei ihrem Kind anzusprechen, wenn sie das Gefühl haben, es hat sich etwas verändert, ihrem Kind geht es nicht gut. Psychische Symptome verstärken sich nicht, wenn man sie anspricht! Im Gegenteil, in der Regel sind Kinder entlastet, weil sie sich gesehen und ernst genommen fühlen.

Oft kann der Kinder- oder Hausarzt eine erste Anlaufstelle sein, weil diese Ärzte in der Regel gut vernetzt sind in ihrer Region. Aber auch im Internet findet man Kinder- und Jugendpsychiater*innen und Psychotherapeut*innen oder die Kassenärztlichen Versorgungen der Bundesländer geben Auskunft über freie Behandlungsplätze.

Welche Probleme belasten Kinder und Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen besonders und wie können Eltern darauf reagieren?

Kinder und Jugendliche nehmen einerseits viele Themen der Welt intensiver auf als andere und manchmal sind sie resilienter, widerstandsfähiger, als Erwachsene, weil sie noch keine Vergleiche haben. Insofern gilt weder die Regel „je jünger, desto unbelasteter“ noch der Satz „je lebenserfahrener, desto unbelasteter“.

Abhängig von Persönlichkeitsfaktoren wie Sensibilität oder auch Empfindlichkeit, abhängig von Vorerfahrungen und schützenden oder belastenden Umgebungsfaktoren entstehen Konstellationen, die entweder für Kinder und/oder für Erwachsene belastend sind. Immer gilt: Kinder bekommen mehr mit als Eltern oft denken, Kinder sprechen nicht immer über das, was sie bewegt und Kinder sind immer für Überraschungen gut.

Deshalb hilft nur eines: dranbleiben, fragen, verstehen.

Natürlich gibt es alters- und entwicklungstypische Probleme. Die hier aufzulisten würde den Rahmen sprengen. Gut eingefühlte Eltern wissen, welche spezifischen Themen und Probleme bei ihren Kindern gerade oben auf liegen. Entscheidend ist, sie ernst zu nehmen und die Kinder liebevoll dabei zu begleiten, eine Lösung zu finden.

Wie können Eltern Frühsymptome bei ihren Kindern feststellen?

Eltern sind Experten für ihre Kinder. Das bedeutet, dass sie bei entsprechender Aufmerksamkeit merken, wenn sich bei ihrem Kind etwas verändert. Manchmal geht das allerdings so schleichend, dass man es im nahen täglichen Miteinander nicht gleich merkt.

Hinweise können Bilder sein, die Kinder malen, oder Veränderungen im Schlaf oder dem Appetit, der Leistung in der Schule, oder ein schleichender Rückzug.

Immer dann, wenn Eltern das Gefühl haben, dass ein Verhalten oder ein emotionaler Ausdruck nicht zu ihrem „eigentlichen“ Kind gehören, kann es sich um Frühsymptome handeln. Die wichtigsten Symptombereiche beziehen sich auf solche, wie Angst, zwanghaftes Verhalten, Traurigkeit, Depression, Appetit und Gewicht, Schlaf, mangelnde Konzentration oder Probleme in der Schule.

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