DIE SUCHE NACH DEM RAUSCH OHNE ALKOHOL

Spätestens ab dem dritten Glas rücken auch das schönste Bukett und die feinste Säure jedes Weines in den Hintergrund. Was dann im Vordergrund steht, ist die Wirkung, die Funktion, da kann man noch so viel fachsimpeln. Die Zunge löst sich, das Selbstbewusstsein wächst, die Menschen rundherum werden plötzlich auch immer interessanter.

Allerdings hat der Ruf von Alkohol in den letzten Jahren beträchtlich gelitten, selbst das angeblich fürs Herz gesunde tägliche Achterl Rotwein ist als Mythos entlarvt worden. Es gebe keine „risikofreie Menge für einen unbedenklichen Konsum“, ab dem ersten Schluck ist Alkohol eine gesundheitsschädigende „psychoaktive Droge“, wie es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung formuliert. Noch dazu greift eine jüngere Generation immer öfter zu alkoholfreien Alternativen, probiert sich am „Dry January“ oder am „Sober October“. Eine schwer zu verkraftende Entwicklung für ein Land wie Österreich, das seine Trinkkultur seit jeher liebevoll pflegt.

Ein wachsender Sektor in der Getränkebranche widmet sich deshalb mithilfe von Biochemikern, Kräuterkundlern und Pharmakologen der Suche nach Alkoholsubstituten, die gesundheitlich weniger bedenklich sein wollen und trotzdem Wirkung zeigen. Unter „Functional Drinks“, also funktionelle Getränke, fallen diese neuen Produkte.

Trink dich gesund

Grundsätzlich handelt es sich dabei um eine stark wachsende Kategorie an Getränken, die mehr tun wollen als nur gut schmecken oder hydrieren. Im Wellness-Sektor versprechen etwa manche Getränke in den USA schon des Längeren, mit Kollagen und Hyaluron die Haut zum Strahlen zu bringen, mit Reishi-Pilzen den Fokus zu erhöhen oder mit CBD und sogenannten Adaptogenen versetzt zu entspannen. Auch Prominente wie Model Bella Hadid (Kin) und Popstar Katy Perry (De Soi) haben mit eigenen Getränkemarken in den Hype investiert. Andere Hersteller, die sich um insbesondere Alkoholsubstitute bemühen oder sich auf die Barszene konzentrieren, versprechen mit pflanzlichen Zutaten eine euphorisierende oder die Geselligkeit steigernde Wirkung.

Vermittelt wird, dass man hier die Vorteile von Alkohol nutzen kann, ohne seinem Körper zu schaden. Auf dem europäischen Markt sind die milderen unter diesen Getränken zumeist im Fachhandel erhältlich. Die EU-Regulationen sind umfassender, wenn es um Kennzeichnung und Inhaltsstoffe von Lebensmitteln geht, besonders Behauptungen über der Gesundheit förderliche Eigenschaften können nicht einfach auf jedes Fläschchen geklebt werden. „Es sind vor allem junge Menschen und ‚Early Adopter‘, die sich hier offen für diese Art von Getränken zeigen. Sie achten auf Gesundheit und wollen etwas Neues ausprobieren“, sagt Frederike de Groot, Gründern des niederländischen Anti-Alkoholhandels World of Nix. Ihre Erfahrung nach ist die Nachfrage nach Weinersatz derweil bei Weitem größer als nach „Functional Drinks“. Im Onlineshop führt World of Nix funktionelle Getränke unter der Bezeichnung „Elixiere“. Etwa drei „Geister“ der britischen Marke Three Spirits, die in eleganten mattschwarzen Fläschchen daherkommen. Mit exotischen pflanzlichen Inhaltstoffen wie Löwenmähnenpilz, Passionsblume, Yerba Mate und Damianablatt soll das „Social“-Elixier etwa die Laune heben und geselliger machen. Geschmacklich erinnert das Getränk an Kräuterbitter, vermengt man es – wie empfohlen – mit Ginger Ale, schmeckt es gut, von der Wirkung ist aber weitestgehend wenig zu spüren. Das „Livener“-Elixier wiederum mit Hibiskus, Grüntee und Ginseng ist mit Tonic vermengt fruchtig und erfrischend und macht so munter, wie das eine Tasse Espresso täte. Zu behaupten, die Wirkung sei berauschend, ist dann doch weit hergeholt.

Laufende Experimente

US-Hersteller wie Free Tonic arbeiten deshalb mit der Kava-Wurzel oder Blättern des Kratom-Baums, um die Wirkung ihrer Produkte zu verstärken. Das Pfeffergewächs Kava wurde von indigenen Völkern im westpazifischen Raum für religiöse Rituale verwendet und soll eine beruhigende Wirkung haben, Kratom ist ein Blatt aus Südostasien und wirkt stimulierend. Die Lebensmittel- und Drogenkontrollbehörde FDA in den USA hat allerdings eine Warnung zu Kratom ausgesprochen, weil nicht ausreichend wissenschaftliche Daten darüber zur Verfügung stehen und manche Studien nahelegen, dass es Suchtpotenzial birgt. Auch mit der südafrikanischen Pflanze Kanna, die aktivierend wirken soll, experimentieren Hersteller in den USA. Sich mit den Inhaltsstoffen in der EU zu positionieren, ist rechtlich teilweise kompliziert, weil sie nicht unter EU-Regulierungen fallen und jeder Staat sie unterschiedlich einordnet.

Deshalb haben der britische Unternehmer David Orren und Wissenschaftler David Nutt einen anderen Zugang zum Thema. Der Neuropharmakologe Nutt war einst der oberste Berater in Sachen Suchtmittel der britischen Regierung und ließ vor Jahren mit einer Studie aufhorchen, die Alkohol schädlicher als Heroin einstufte. Nun hat er sich mit seinem Geschäftspartner der Suche nach einem Substitut verschrieben. Gemeinsam tüfteln sie in ihren GABA Labs an einer chemischen Verbindung, die mit dem Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure (GABA) interagieren soll, der im Gehirn sowohl hemmende als auch aktivierende Funktionen übernimmt. Da er etwa spontane Nervenaktivität hemmt, wird er in der Behandlung von Epilepsie eingesetzt.

Orren und Nutt wollen mit ihrer Verbindung „Alcarelle“ GABA-Aktivität befeuern, was eine entspannende Wirkung zeigen sowie soziale Phobien abbauen soll und es dadurch – ähnlich wie Alkohol – genussvoller macht, mit Menschen zu interagieren. „Jüngere Generationen haben ein ganz anderes Trinkverhalten, und das ist nicht nur ein momentaner Trend. Unsere Beziehung zu Alkohol wird sich nachhaltig ändern“, ist Orren überzeugt. Erste Alcarelle-Produkte von GABA Labs sind bereit für das Zulassungsverfahren der FDA für den amerikanischen Markt. Der europäische Markt soll 2025 folgen. Derweil vertreibt GABA Labs mit Sentia eine Light-Version auf Kräuter- und Pflanzenbasis als ersten Vorgeschmack.

Die kulinarische Beraterin Nina Mohimi beobachtet die Entwicklungen auf dem antialkoholischen Getränkemarkt schon des Längeren. Sie meint, gerade in Österreich werde man bis auf Weiteres zögerlich mit funktionellen Alkoholsubstituten umgehen: „Bei uns ist die Barkultur nicht so ausgeprägt wie in den USA oder Großbritannien. Deshalb sind alkoholfreier Wein und Bier die gefragtesten Produkte. Functional Drinks sind vor allem als Ersatz für höherprozentige Spirituosen interessant“, sagt sie. Umso besser, wenn man sich hierzulande gemächlich auf die Revolution der Trinkkultur einstellen kann.

2024-09-18T08:28:15Z dg43tfdfdgfd