FRAU HAT ALKOHOLVERGIFTUNG, OBWOHL SIE NICHT TRINKT

Siebenmal sucht die Frau mit Symptomen einer Alkoholvergiftung die Notaufnahme auf – aber sie trinkt nicht. Dahinter steckt ein seltenes Syndrom.

Ihr Atem stank nach Alkohol. Sie war schwindlig, desorientiert und schwach. So sehr, dass sie eines Tages ohnmächtig wurde und sich den Kopf am Küchentisch stieß, als sie das Mittagessen für ihre Kinder zubereitete. Die 50-jährige Frau aus Toronto (Kanada) und ihr Ehemann erzählten den Ärzten zwei Jahre lang, dass sie keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte – bis man ihr schließlich glaubte und die Ursache ihres Zustandes erkannte.

"Sie suchte ihren Hausarzt immer wieder auf und ging innerhalb von zwei Jahren siebenmal in die Notaufnahme", sagt Dr. Rahel Zewude, Spezialistin für Infektionskrankheiten an der Universität von Toronto und Mitverfasser eines Berichts im Canadian Medical Association Journal. Obwohl sie dreimal von verschiedenen Krankenhauspsychiatern untersucht wurde und keine der Kriterien für Alkoholismus erfüllte, wurde sie sechsmal mit der Diagnose Alkoholvergiftung entlassen, obwohl sie angegeben hatte, keinen Alkohol zu trinken, was von ihrer Familie bestätigt wurde.

Bei ihrem siebten Besuch in der Notaufnahme stellte sich die Patientin mit undeutlicher Aussprache, Alkoholgeruch und einem erhöhten Ethanolspiegel von 62 mmol/l vor. Erst da erwog ein Arzt die Diagnose des Eigenbrauer-Syndroms und überwies sie an einen Gastroenterologen. Alkoholwerte von bis zu 62 Millimol pro Liter sind außerordentlich hoch und würden als lebensbedrohlich, ja sogar als tödlich angesehen. Jedoch können Betroffene dieses Syndroms mit solchen Werten noch aufrecht stehen und sprechen. Warum das so ist, ist noch ein Rätsel.

In der gastroenterologischen Klinik wurde die Patientin untersucht, der eine kohlenhydratarme Diät vorschlug. Nach einer einmonatigen Behandlung mit Fluconazol (Antipilz-Arznei) und der Einhaltung der kohlenhydratarmen Diät verschwanden die Symptome und blieben vier Monate lang aus. Dann begann die Patientin, ihre Kohlenhydratzufuhr zu erhöhen. Einen Monat darauf traten erneut undeutliche Sprache und Schläfrigkeit auf, was zu einem Sturz führte. Sie wurde erneut in der gastroenterologischen Klinik untersucht, erhielt erneut Fluconazol, wurde zur Umstellung auf die kohlenhydratarme Diät angehalten und an unsere Klinik für Infektionskrankheiten überwiesen. Nach einer zweiwöchigen Behandlung mit Fluconazol und einer kohlenhydratarmen Diät verschwanden ihre Symptome erneut.

Das Eigenbrauer-Syndrom tritt auf, wenn bestimmte Bakterien- und Pilzarten das Darmmikrobiom eines Menschen überbevölkern und den Magen-Darm-Trakt im Grunde in einen Destillierapparat verwandeln. Wissenschaftler glauben, dass dieser Prozess im Dünndarm stattfindet und sich stark von der normalen Darmgärung im Dickdarm unterscheidet, die unseren Körper mit Energie versorgt.

Es gibt Risikofaktoren für das Eigenbrauer-Syndrom. Diabetes und Lebererkrankungen können eine Rolle spielen, ebenso wie Magen-Darm-Erkrankungen wie entzündliche Darmerkrankungen und das Kurzdarmsyndrom, bei dem der Dünndarm beschädigt oder verkürzt ist. Es kann sogar eine genetische Veranlagung geben, die damit zusammenhängt, wie gut eine Person Alkohol verstoffwechselt. "Aber all diese Dinge müssen zum richtigen Zeitpunkt zusammentreffen", sagte sie. "Es müssen mehrere Risikofaktoren zusammenwirken und einen metabolischen Sturm auslösen, damit dieses Syndrom bei einer Person auftritt."

Bei der Patientin aus Toronto begann dieser Stoffwechselsturm mit Mitte 40, als sie gleichzeitig Harnwegsinfektionen bekam, die jeweils mit Antibiotika behandelt wurden. Die nützlichen Bakterien in ihrem Darmtrakt begannen abzusterben, sodass die Pilze, die auf der Lauer lagen, die Kontrolle übernehmen konnten. So viel Hefe braucht Treibstoff, den sie aus Kohlenhydraten in der Nahrung bekommt. Als die Frau 48 Jahre alt war, verwandelte ihr Körper fast alle Kohlenhydrate, die sie zu sich nahm, in Alkohol.

Heute ernährt sich die Patientin nach einem Rückfall weiterhin sehr kohlenhydratarm. "Da jeder Mensch andere Erfahrungen macht, ist es wichtig, dass die Patienten in engem Kontakt mit ihren Ärzten bleiben, um ihren Zustand zu kontrollieren", so Zewude. "Für jeden, der mit dem Syndrom zu tun hat, dass der Ehepartner, der Freund, der Mitbewohner oder wer auch immer die Anzeichen und Symptome kennt und sich mit den Ärzten in Verbindung setzt oder die Person in die Notaufnahme bringt, wenn dies auftritt."

Die Behandlung des Eigenbrauer-Syndroms beginnt mit einer Reihe von pilztötenden Arzneien, (Fungiziden), die nach einer Biopsie oder Darmspiegelung verschrieben werden, um die spezifischen Krankheitserreger zu identifizieren, die den Darm kolonisiert haben. Zusätzlich zur Abtötung der Hefepilze wird von den Patienten erwartet, dass sie eine extrem kohlenhydratarme Diät einhalten. "Am besten wäre ein Verzicht auf Kohlenhydrate, aber das ist fast unmöglich", sagte Zewude. Auch Probiotika zum Wiederaufbau nützlicher Darmbakterien können helfen.

In Belgien war kürzlich ein vermutlich am Eigenbrauer-Syndrom leidender Mann vom Vorwurf der Trunkenheit am Steuer freigesprochen worden. Ein Rechtsmediziner hatte bestätigt, dass das Syndrom höchstwahrscheinlich vorliege. Ähnliche Fälle hatte es auch in den USA schon mehrfach gegeben.

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